Migräne im Leben der Frau

Der Begriff der menstruellen Migräne findet sich in vielen Texten zum Thema Kopfschmerz. Er scheint so selbstverständlich, dass ihn lange Jahre kaum jemand in Frage gestellt hat. Forschungsergebnisse haben jedoch gezeigt, dass diese als selbstverständlich angesehene Verbindung zwischen Hormonen, Menstruation, Schwangerschaft, Menopause, Antibabypille und Migräne relativiert werden muss.

Menstruation und Migräne

Will man den zeitlichen Zusammenhang zwischen Menstruation und Migräne definieren, so macht es Sinn, den Zeitraum auf die Zeit der Regelblutung selbst, sowie drei Tage davor und danach festzusetzen. Setzt man dieses Kriterium, so ergibt die Statisik, dass maximal eine von zwanzig migränekranken Frauen zu dieser Gruppe gehört. Mit anderen Worten: Der Begriff der menstruellen Migräne trifft nur auf einen geringen Teil der betroffenen Patientinnen zu.

Aus klinischen und experimentellen Studien wissen wir, dass der auslösende Faktor in einem Absinken des Östrogenspiegels zu finden ist. Der absolute Hormonspiegel – ob er also hoch oder niedrig ist – scheint dagegen keine Rolle zu spielen, nur das plötzliche Absinken.

Weitergehende Analysen der Hormonkonzentrationen ergaben bisher kein einheitliches Bild: Weder die Werte des follikelstimulierenden Hormons (FSH) noch des luteinisierenden Hormons (LH) unterscheiden sich bei Patientinnen mit einer menstruell gebundenen Migräne, von denen gesunder Kontrollgruppen.

Behandlung der menstruellen Migräne

Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs mit der Menstruation lag es nahe, hormonelle Therapieverfahren einzusetzen. Doch es zeigte sich, dass weder Hormonpflaster noch Östrogene in Tablettenform die Attacken verhindern konnten. Auch der Einsatz von Östrogen in Form eines auf die Haut auftragbaren Gels führt nicht zu zuverlässigen Behandlungsergebnissen. Es gilt für die Therapie der menstruellen Migräne generell das, was für die Behandlung der Migräne in den vorigen Kapiteln erläutert wurde.

Schwangerschaft und Migräne

Die Migräne ist von besonderer Bedeutung für eine mögliche oder bestehende Schwangerschaft. Zum einen ergibt sich die Frage, wie eine Migräne während der Schwangerschaft zu behandeln ist, insbesondere welche Medikamente indiziert oder kontraindiziert sind. Zum anderen sorgen sich betroffene Patientinnen, ob die Schwangerschaft durch die Migräneerkrankung bedroht wird. Schließlich ist von Bedeutung, welche Auswirkungen die Schwangerschaft auf den Verlauf der Migräneattacke haben kann.

Schwangerschaft lindert Migräne

Skulptur

Skulptur

Die Schwangerschaft ist für die meisten Frauen eine unbeschwerte und schmerzfreie Zeit. Aus Studien ist bekannt, dass bei fast 70 Prozent der betroffenen Patientinnen eine deutliche Verbesserung oder sogar ein völliges Ausbleiben der Migräne während der Schwangerschaft zu beobachten ist. Dieser Effekt zeigt sich insbesondere in den letzten zwei Dritteln der Schwangerschaft. Ob bei wiederholten Schwangerschaften der positive Effekt auf die Migräne allmählich nachlässt, ist bisher unklar. Nach der Entbindung klagt knapp der Hälfte der Patientinnen in der ersten Woche über ein erneutes Auftreten von Kopfschmerzen, vorwiegend Kopfschmerz vom Spannungstyp, jedoch auch Migräne.

Die Ursache für die zum Teil spektakuläre Verbesserung der Migräne während der Schwangerschaft ist bisher völlig offen. Allerdings werden verschiedene Hypothesen diskutiert. Zunächst wird angenommen, dass die erhöhten Konzentrationen von Östrogen und Progesteron und deren konstante Spiegel während der Schwangerschaft die Basis für die Verbesserung sind.

Andere Erklärungen gehen davon aus, dass ein veränderter Serotoninstoffwechsel während der Schwangerschaft sowie eine erhöhte Konzentration von endogenen Opioiden (Endorphine) für die Verbesserung verantwortlich zu machen sind. Eine entscheidende Bedeutung allerdings scheint die veränderte Lebensweise während der Schwangerschaft zu haben: Schwangere Frauen ernähren sich in der Regel bewusster, haben einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus, vermeiden Alkohol und Nikotin, versuchen, stressfreier zu leben und sind im Arbeitsprozess weniger beansprucht.

Behandlung während der Schwangerschaft

Generell gilt, dass eine medikamentöse Therapie während der Schwangerschaft – wenn irgend möglich – zu vermeiden ist. Ganz besonders gilt dies natürlich für prophylaktische Maßnahmen, bei denen täglich Medikamente eingenommen werden müssen. Diese Medikamente (Betarezeptorenblocker, Flunarizin und die Serotoninantagonisten) dürfen während der Schwangerschaft grundsätzlich nicht genommen werden. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn eine Schwangerschaft geplant oder auch nur möglich ist. Da gerade junge Frauen solche Medikamente bei schweren Migräneverläufen einsetzen, muss der Arzt sie auf die Notwendigkeit einer sicheren Verhütung hinweisen. Zur Vorbeugung von Migräneattacken empfehlen sich entsprechend – wie sonst auch – in erster Linie Verhaltensmaßnahmen wie Entspannungsübungen und das Meiden der auslösenden Faktoren.

Medikamentöse Prophylaxe?

Bei extrem schweren Migräneverläufen während der Schwangerschaft – insbesondere bei der Migräne mit Aura – sollte man Magnesium zur Vorbeugung versuchen. Der Effekt von Magnesium auf den Migräneverlauf war in klinischen Studien zwar insgesamt eher gering, in Einzelfällen jedoch außerordentlich eindrucksvoll.

Zur Therapie des arteriellen Bluthochdruckes während der Schwangerschaft verschreibt der Arzt im allgemeinen Propranolol – also ein Mittel, das auch erfolgreich zur Migräneprophylaxe verwendet wird. Dabei haben sich keine fruchtschädigenden Wirkungen ergeben. Dennoch sollte man Propranolol während der Schwangerschaft zur Migräneprophylaxe nur sehr zurückhaltend einsetzen und lediglich als letzte Möglichkeit erwägen.

Die Akuttherapie

Es gibt nur sehr wenig Literatur zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten in der Therapie der Migräneattacke während der Schwangerschaft, im Hinblick auf die Geburt und beim Stillen. Paracetamol galt bisher als das sicherste Schmerzmittel in der Schwangerschaft. Aufgrund der früheren Datenlagen schien die Sicherheit außer Zweifel zu sein. Schwangeren wurde die nahezu bedenkenlose Einnahme dieses Schmerzmittels bei Schmerzen in der Schwangerschaft empfohlen.

Aufgrund aktueller Studien ist jedoch ein sorgfältiges Umdenken bzgl. dieser Empfehlung erforderlich. Die Einnahme von Paracetamol durch die Schwangere und Kontakt des Ungeboren mit dem Arzneimittel scheint später bei den Kindern zu einem bedeutsam erhöhten Risiko für die Entwicklung von Asthma und Atemwegserkrankungen sowie möglicher Unfruchtbarkeit bei Jungen zu führen. In den letzten Jahren hat sich global ein deutlicher Anstieg der Häufigkeit von Asthma eingestellt. Paracetamol ist in Deutschland das am häufigsten eingesetzte Schmerzmittel. Es steht auf Platz 1 der am häufigsten verwendeten Arzneimittel. Gleichzeitig stieg die Häufigkeit von Asthma in der Bevölkerung in den letzten Jahren bedeutsam an. Paracetamol kann zu einer Reduktion von Glutathion in der Lunge führen. Es wird angenommen, dass Glutathion für die Entstehung von Asthma eine wichtige Rolle spielt.

Besonders bedenklich ist der begründete Verdacht eines signifikant erhöhten Risikos für die Entwicklung der Lageanomalie des Hodens bei Jungen (Kryptorchismus). Bei den Betroffenen kann dies später zu einer verminderten Zeugungsfähigkeit und erhöhtem Risiko für das Auftreten von bösartigen Hodentumoren führen. Die Spermienanzahl und die Spermienvitalität im späteren Leben können reduziert werden. Die kombinierte Einnahme von zwei Schmerzmitteln bei Schwangeren war mit einer siebenfach erhöhten Rate eines Kryptorchismus der neugeborenen Jungen verbunden. Es wird der Verdacht geäußert, dass die Auswirkungen von einer Tablette Paracetamol zu 500 mg für das ungeborene Kind schädlicher sein könnte, als die zehn häufigsten Umweltschadstoffe. Paracetamol galt bisher in therapeutischen Dosierungen als sicheres, harmloses, verträgliches und auch preiswertes Schmerzmittel. Die Gefahr, dass bei Überdosierung über 150 mg pro kg Körpergewicht irreversible Leberzellschädigungen bis zum Leberversagen ausgelöst werden kann, führte bereits zu einer Limitierung der Packungsgröße im Rahmen der Selbstmedikation.

Die neuen Studien begründeten ein bedeutsames Umdenken für die Anwendung bei möglicher, geplanter oder bestehender Schwangerschaft. Grundsätzlich sollte auf die Einnahme von Schmerzmitteln in der Schwangerschaft und Stillzeit verzichtet werden. Im Einzelfall kann bei besonders schweren Schmerzen nach ärztlicher Beratung eine Akutmedikation erwogen werden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass insbesondere sog. einfache Schmerzmittel wie Paracetamol nur eine teilweise und kurze Wirkung auf den schweren Schmerzanfall haben, jedoch gleichzeitig nachhaltige lebenslange Risiken für Komplikationen für das ungeborene Kind bewirken können. Den Studien wurde Kritik entgegengehalten, ein ursächlicher Zusammenhang sei noch nicht definitiv bewiesen. Bis Klärung des genauen Zusammenhanges muss jedoch der Grundsatz gelten: Im Zweifel für das ungeborene Leben und gegen die Einnahme von Paracetamol, insbesondere in Kombination mit anderen Schmerzmitteln. Kurzer Nutzen und langfristige lebenslange Risiken stehen aufgrund der neuen Daten bei möglicher oder bestehender Schwangerschaft nicht im ausgewogenen Verhältnis.  Entgegen früheren Empfehlungen wird daher bei möglicher oder bestehender Schwangerschaft von der Einnahme von Paracetamol in Mono- und insbesondere Kombinationspräparaten abgeraten.

Keinesfalls eingenommen werden dürfen Ergotamine wie Ergotamintartrat und Dihydroergotamin. Die Substanzen führen während der Schwangerschaft zu einer Verkrampfung der Gebärmutter. Zudem hat sich Ergotamin als embryoschädigend erwiesen.

Für den Einsatz von Triptanen in der Schwangerschaft liegen derzeit noch keine ausreichenden Daten vor. Zwar gibt es Berichte von Schwangerschaften, die während einer Therapie mit Sumatriptan aufgetreten sind, wobei sich keine Probleme gezeigt haben. Bis jedoch ausreichend Erfahrungen vorliegen, dürfen Triptane während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht eingesetzt werden.

Einzelheiten zu der medikamentösen Attackentherapie und der medikamentösen Vorbeugung finden Sie im Untermenü Schwangerschaft.

Antibabypille als Auslöser?

Bei hartnäckigen und schwer zu behandelnden Migräneattacken wird häufig die Antibabypille als Schuldiger ausgemacht. Betrachtet man die Fakten jedoch genauer, so zeigt sich in „wasserdichten“ (doppelblinden und placebokontrollierten) Studien keine eindeutige Verbindung.

Auch das Neuauftreten von Migräneattacken im Zusammenhang mit der Einnahme der Antibabypille wird immer wieder diskutiert. Da die Migräne besonders häufig in der zweiten Lebensdekade auftritt – also genau in der Zeit, in der meist auch erstmalig die Antibabypille eingenommen wird – ergibt sich zumindest ein statistischer Zusammenhang. Ob es sich dabei aber um einen ursächlichen Zusammenhang handelt, ist derzeit unklar.

Neue Studien haben ergeben, dass das Risiko von Schlaganfällen bei Migräne um den Faktor 2 bis 3 erhöht ist. Da die Antibabypille dieses Risiko zusätzlich erhöht – insbesondere im Zusammenhang mit dem Rauchen – sollte bei plötzlichem Auftreten von neurologischen Störungen (z.B. Schwindel, Lähmungen, Sprachstörungen usw.) möglichst umgehend eine neurologische Untersuchung vorgenommen werden. Dies gilt auch, wenn unerwartete Kopfschmerzattacken auftreten, die auch täglich in Erscheinung treten können.

Wechseljahre und Migräne

Es wird häufig die Meinung vertreten, dass die Migräne im höheren Lebensalter allmählich „ausbrennt“, also an Häufigkeit und Intensität abnimmt. Studien zeigen jedoch, dass bei mehr als 50 Prozent der Betroffenen während der Wechseljahre und danach noch keine Veränderung des bisherigen Migräneverlaufes zu beobachten ist. Bei etwa 47 Prozent der Patientinnen zeigt sich sogar eine Verschlechterung.

Sogar heute noch wird manchen Patientinnen mit schweren Migräneattacken eine Gebärmutterentfernung oder eine Eierstockentfernung zur Migräneprophylaxe zugemutet. Dies hat aber nachweislich keinerlei Einfluss auf den Verlauf einer Migräne. Auch Hormontherapien im höheren Lebensalter können die Migräne nicht beeinflussen. Entsprechend gilt auch in dieser Situation, dass die Migränetherapie wie sonst auch durchgeführt werden sollte.